Wir wollen nochmal in Erinnerung rufen, wogegen sich die Aktionen der queer-feministischen Aktivist_innen richteten, die während des Christivals in Gewahrsam genommen wurden:
Das Christival ist ein evangelikales Großevent, das vor allem jugendliche Christ_innen in großen Scharen versammelt, wo reaktionäre bis fundamentalistische Inhalte verbreitet und die Besucher_innen – die herzensguten Schäfchen Gottes – eindringlich zur Mission Nicht- und Anders Gläubiger aufgefordert werden. Der Glaube an die eigene Nächstenliebe, Toleranz und Altruismus und die Überzeugung, die einzig „richtigen“ Werte und Moralvorstellungen zu vertreten, ist Futter für narzisstische Selbstbestätigung und mündet in der Vorstellung, selbst in Gottes Auftrag zu handeln, quasi sein Werkzeug zu sein.
2008 kam es in der bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer Debatte um das (staatlich subventionierte) Christival, vor allem deshalb, weil Volker Beck (parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen Bundestagsfraktion) die heterosexistischen Inhalte des Seminars „Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung“ kritisierte. Dieses Seminar wurde von dem Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft geplant. Das Institut ist Teil der sogenannten Ex-Gay-Bewegung und vertritt die Auffassung Homosexualität sei sündhaft, eine Krankheit und durch sogenannte Therapie heilbar.
Die Bundesregierung erklärte dazu in einer Stellungnahme, dass dies den wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht, so dass das Seminar abgesagt werden musste. Von den Inhalten des Seminars distanzierten sich die Organisatioren des Christivals aber nicht. Wir sagen dazu: Mehr Sünde, Spass und Perversion und Schluss mit heteronormativer Gleichschaltung durch Pseudotherapie und Gehirnwäsche!
Auch das Seminar „Sex ist Gottes Idee – Abtreibung auch?“ von der Birke e.V., einem Verein von Abtreibungsgegner_innen (die sich selbst Lebensschüzter nennen) geriet in die öffentliche Kritik u.a. von Pro Familia Bremen. Ziel des Vereins ist das Vermeiden eines Schwangerschaftsabbruchs um jeden Preis, auch vor Einschüchterung und Psychoterror wird nicht zurückgeschreckt. Hinter der sogenannten „Beratung“ von Schwangeren steht eine emanzipationsfeidliche, reaktionäre Grundhaltung, ein heterosexisitisches Frauenbild. Trotz der öffentlichen Kritik und eines Blockadeversuchs fand das Seminar der Lebensschützer jedoch statt.
In der evangelikalen Bewegung herrscht eine völkische Ideologie, in der Frauen die Rolle der Reproduzentinnen des „deutschen Volks“ zukommt. Diese Verknüpfung von Geschlecht und Nation mündet in reaktionären Frauenbildern und Angst vor Fremden, die ihren Ausdruck in rassistischen Vorstellungen von den nachwuchsstarken Ausländer_innen finden. Hier ist auch ein Anknüpfungspunkt für die extreme Rechte. Die Verbindung zwischen der evangelikalen Bewegung und Rechtsextremisten äußert sich in persönlichen Kontakten, Artikeln in der Jungen Freiheit, bzw. in ideaSpektrum (dem Zentralorgan der Evangelischen Allianz) und Gastauftritten bei Veranstaltungen.
Die Inhalte der Bibel sind für überzeugte Evangelikale nicht allein eine Frage des Glaubens und damit „Privatsache“. Ihr Ziel ist es, die biblischen Werte, in Form von Ge- und Verboten, als gesellschaftliche Regeln durchzusetzen. Sie zielen deshalb auf politische Einflussnahme ab.
Die Deutsche Evangelische Allianz ist der Verband, unter dem sich die evangelikale Strömung politisch organisiert und vernetzt. Ihr politisches Engagement beinhaltet Lobbyarbeit, Vernetzung mit einflussreichen Politiker_innen (vor allem aus der CDU/CSU) und die Platzierung von Personen mit der „richtigen“ Gesinnung in einflussreichen Positionen in Politik und Medien.
Wie groß der Einfluss der Evangelikalen bereits ist, zeigt sich auch darin, wieviel staatliche Mittel in ihre Projekte fließt. So übernahm Ursula von der Leyen, damals noch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Schirmherr(innen)schaft für das Christival und unterstützte das Event im Namen der Bundesregierung mit 250 000 Euro. Begründet wurde dies damit, dass das Christival Impulse für die christliche Kinder- und Jugendarbeit geben sollte. Hier zeigt sich welche Art von Impulsen und Inhalten offenbar politisch gewollt sind und unterstützt werden, nämlich erzkonservative hierarchische, heterosexisitische Geschlechterrollen, antifeministische Frauen- und Familienbilder, Islamophobie und Obrigkeitshörigkeit nicht zu vergessen.
Die einvernehmliche Zusammenarbeit zwischen Staat und (evangelikalen) Christ_innen zeigte sich schließlich auch im Vorgehen der Polizei gegen Aktivist_innen während des Christivals. Schon im Vorfeld wurden Christivalgegner_innen und die Bündnisse gegen das Christival – sowohl von der Polizei als auch von den Veranstalter_innen – als gefährlich und gewaltbereit eingestuft, so dass massiver Polizeischutz für die Großveranstaltung geplant wurde. Dem Konstrukt der radikalen, millitanten, gewalttätigen Christivalgegner_innen wurde das der friedfertigen, freundlichen und menschenliebenden Christivalteilnehmer_innen gegenübergestellt, die diesem scheinbar gefährlichen Mob hilf- und schuldlos ausgeliefert seien.
Aktionen, die inhaltliche Kritik auf die Straße tragen und dort in der direkten Konfrontation und in der Öffentlichkeit verhandeln, zu delegitimieren ist eine bekannte staatliche Strategie, Widerstand mundtod zu machen. Gleichzeitig wird damit ein gewalttätiges Vorgehen der Staatsmacht gerechtfertigt. Immer wenn es darum geht zivilen Ungehorsam als Widerstandsform zu kriminalisieren, wird das Bild des_der gewaltbereiten Randalierer_in benutzt um Angst und Schrecken zu verbreiten und die Inhalte der Kritik aus dem Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Insofern passt auch die in ideaSpektrum gelobte außerordentlich gute Zusammenarbeit der Polizei mit den Christival-Organisator_innen: Obrigkeitshörigkeit, Gehorsam und die Bereitschaft, Regeln unhinterfragt zu folgen, ist für beide essenzieller Bestandteil ihrer Arbeit und das, was sie auch bei anderen gern sehen.
Dem setzen wir entgegen: Rassismus, Homophobie und Sexismus hier und jetzt hinterfragen und bekämpfen!
Wir stellen uns evangelikalen Fundamentalist_innen und ihren menschenfeindlichen Ideologien sichtbar entgegen und werden ihre Verbindungen mit der deutschen Politik auch weiterhin laut und deutlich benennen und bekämpfen!
Zusammenarbeit von Staat, Kirche und Polizei aufdecken!
Polizeigewalt nicht hinnehmen sondern skandalisieren!
[…] gilt nun eine queere Aktivistin aus Bremen, weil sie sich anmaßte polizeiliche Gewalt im Zuge des Chrisivals gegen sie anzuzeigen. ::: Mehr […]