Warum wir den juristischen Weg wählen

Im Mai 2008 fand in Bremen das „Christival“, ein von Evangelikalen organisiertes Riesen-Event statt, das durch homophobe und sexistische Inhalte sogar in der bürgerlichen Presse in die Kritik geraten ist. Ein antisexistisches Bündnis organisierte Protestaktionen dagegen.
Wir sind eine Gruppe, die 2 Menschen, die während des Christivals von Polizeigewalt betroffen waren, unterstützt. Gemeinsam wurde beschlossen, Anzeige zu erstatten gegen die verantwortlichen Bremer Polizeibeamt_innen.
Auch wenn wir den juristischen Weg nicht unkritisch sehen, haben wir uns dafür entschieden. Im Folgenden wollen wir erklären, warum.


Wer in diesem Staat den Mund aufmacht, unbequem ist oder sogar politisch aktiv wird, wird erfasst und bekommt schnell die staatliche Repression zu spüren. Teilweise ist das vom Staat genau so gewollt, teilweise handeln die Polizist_innen aber auch eigenmächtig. Das Nichtbeachten der Gesetze ist dabei ebenfalls gängig. Verfolgung ihrer eigenen Straftaten müssen Polizist_innen nicht fürchten. Sie sind anonym und auf vielfältige Weise geschützt (vor Identifizierung). Durch Uniformen, durch Dienstnummern, die selbstverständlich nicht hergegeben werden, durch Kolleg_innen, die schweigen etc. Falls es doch einmal zur Anklage kommt, wird diese meist fallengelassen.

Repression kann sehr unterschiedlich aussehen und Menschen gehen unterschiedlich damit um. Die Gemeinsamkeit ist jedoch, worauf Repression abzielt: Spaltung, Vereinzelung, Angst und Ohnmacht. Und schließlich: Rückzug von politischem Engagement.

In letzter Zeit ist eine ziemlich erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber Repression zu beobachten. Es gibt kaum Bereitschaft, sich mit dem Thema zu befassen, obwohl (fast) alle davon betroffen sind. Nach dem Motto: “Das gehört dazu“ gilt es teilweise sogar als cool, von Repression betroffen zu sein. Ein Nicht-eingestehen von Unwissenheit oder Unsicherheiten führt dazu, dass Repression nicht thematisiert wird. Dies halten wir nicht nur in Bezug auf weitere repressive Maßnahmen für gefährlich, sondern auch, weil so die Betroffenen häufig allein gelassen werden.

Die einschüchternde Wirkung von Repression kann nur dann aufgebrochen werden, wenn wir der Vereinzelung mit Solidarität begegnen und dem Gefühl der Ohnmacht neue Handlungsmöglichkeiten entgegensetzen.
Wichtig ist, neben der politischen Ebene die persönliche nicht außer Acht zu lassen. Belastende Erfahrungen bringen emotionalen Stress mit sich. Wo kein Raum ist, diesen aufzufangen und zu thematisieren, setzt sich das Gefühl der Vereinzelung und Hilflosigkeit im Kopf fort.
Wege, der Repression zu begegnen, gibt es sicherlich viele. Welcher der angemessene ist, hängt stark von der Person, dem Geschehen und der Situation ab.

So ist für uns der juristische Weg auch nicht DER Weg schlechthin, sondern der richtige für uns in dieser Situation.

In Zeiten, in denen die Linke Bewegung in der Defensive ist und kaum gesellschaftliche Relevanz hat wie heute, halten wir es für unrealistisch, auf anderen Wegen Druck auf die Bullen auszuüben. Hinzu kommt, dass sich in unserem konkreten Fall die polizeilichen Übergriffe gegen eine sehr kleine Gruppe Menschen richteten und an einem abgeschirmten Ort stattfanden. Eine größere Empörung z.B. von bürgerlicher Seite ist also nicht zu erwarten. Von der Linken ist Empörung aufgrund der ständigen Repressionserfahrungen sowieso nicht zu erwarten.
Somit sehen wir den juristischen Weg am ehesten vielleicht als einen realistischen Weg – Sowohl um etwas Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten, als auch, um Bullen und Staat zu nerven. Wir wollen an der Selbstsicherheit der Bullen rütteln, die sich alles mögliche erlauben können, da sie eh keine Konsequenzen zu fürchten haben.

Dabei sind wir uns der Probleme, die dieser Weg mit sich bringt, bewusst.
Wir wissen, dass diese Anzeigen kaum Aussicht auf Erfolg haben. Es ist sicher kein Zufall, dass es fast keine Statistiken gibt, wenn es um das Thema Polizeigewalt geht. Die Statistiken aus Berlin jedoch sprechen eine deutliche Sprache. Von den Anzeigen (wie viele Fälle gar nicht erst zur Anzeige gebracht werden, lässt sich nur erahnen) führten gerade mal 1,3% zu Anklagen, nur 0,4% führten zu Verurteilungen. (Vgl. Martina Kant (2000): http://www.cilip.de/ausgabe/67/kant.htm)

Wir sind uns bewusst, dass Anzeigen gewissermaßen den Rechtsstaat legitimieren, aber wir sind nicht so naiv zu glauben, das Gericht würde Gerechtigkeit sprechen.

Eine weitere Gefahr bei diesem Weg ist die Bekanntgabe von Namen und Zusammenhängen und die damit einhergehende Gefahr weiterer Repression. Dies ist wohl auch der schwerwiegendste Einwand gegen unser Vorgehen. Wir gehen allerdings nicht davon aus, dass unsere Namen dem Staat völlig neu sind. Außerdem ist die Lage ziemlich eindeutig, eine weitergehende Strafverfolgung aufgrund unserer Angaben ist nicht zu erwarten. Trotzdem ist die Gefahr von Überwachung und Repression immer gegeben, sobald mensch sich rührt. Dies ist aber keine Besonderheit des juristischen Weges. Jedes Aufbegehren gegen Repression wird meist mit Repression beantwortet.

Gerichtsverfahren dauern lange, sind teuer und für die Beteiligten emotional anstrengend. Die Kapazitäten, die dafür aufgebracht werden, könnten auch in andere politische Arbeit gesteckt werden. Warum also tun wir es trotzdem?
Die Antwort darauf ist ziemlich simpel. Wir wollen niemanden alleine lassen. Wir wollen den Bullen nicht alles durchgehen lassen. Und: wir haben die Möglichkeit dazu. Wir investieren die Zeit und treiben das Geld auf um diesen Weg zu gehen. Und wir kommen gut miteinander aus, hoffentlich auch die nächsten Jahre (Prozesse dauern lange), und haben den Anspruch an uns, immer wieder Unsicherheiten zu thematisieren und in einem gemeinsamen Diskussionsprozess zusammen zu wachsen.
Auch für uns ist dieser Weg nicht widerspruchsfrei und es ist auch nicht der einzige Weg für uns. Ein Ziel unserer Arbeit ist es, Polizeigewalt sowohl in der Szene als auch darüber hinaus zum Thema zu machen. Darum setzen wir unter anderem auch auf Veranstaltungen und Vernetzung mit anderen. Ein weiteres Ziel, dass wir uns gesetzt haben, ist es, diesen Prozess durchzuziehen und zu dokumentieren, damit andere auf die Erfahrungen zurückgreifen können und wissen, was auf sie zukommt, wenn sie vor einer ähnlichen Entscheidung stehen.
Wir gehen diesen Weg in dem Wissen, dass viele andere dies nicht können. Weil ihnen die Rechte, das Geld, die Unterstützung fehlen.

Antirepressionsgruppe 2.5.08

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